Wir wollen mehr als schlafen, essen, pauken und shoppen!

Wir haben heute einen Brief an die Genoss*innen der SPD-Fraktion geschickt, um sie darauf hinzuweisen, wie wichtig auch in Zeiten von Corona die Jugendverbandsarbeit ist. Lest hier, worum es uns geht.

5 Gründe, warum wir gerade jetzt Jugendverbände brauchen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Genossinnen und Genossen,

seit Beginn der Corona-Krise stellen wir fest, dass die Politik ihren Fokus zu stark auf den älteren Teil der Bevölkerung legt und dabei die Kinder und Jugendlichen, vergisst. Sie lässt diese dabei nicht komplett außen vor, aber tut so als wäre das Wichtigste in unserem Leben die Schule. Diese Herangehensweise macht uns traurig und wir gehen davon aus, dass sie sich äußerst negativ auf die Zukunft auswirken wird.

Was wir brauchen

Mit dem folgenden Text wollen wir Sie, Politik und Entscheider*innen, ansprechen. Denn die Art und Weise wie Lockerungen diskutiert werden, geht uns auf die Nerven. Macht euch klar: Wir sind es, die in der Zukunft hier leben werden. Wir werden sie mit dem gestalten, was wir heute lernen. Und um zu lernen, brauchen wir weder schlechten online-Unterricht noch einen Flickenteppich von Schultagen.

Wir brauchen Räume und Gruppen, in denen wir lernen können uns Wissen anzueignen. In denen wir die Fähigkeiten entwickeln, die Gesellschaft der Zukunft zu gestalten. Wir brauchen Jugendclubs, Ferienmaßnahmen, Juleica-Schulungen, Gruppenstunden, Infoveranstaltungen, kreative und spielerische Momente.

Oder in euren Worten: Wir brauchen „Jugendhilfe“ und eine entsprechende Corona-Jugendverordnung. Wir brauchen außerschulische Bildung, mindestens genauso dringend wie formelle Bildung.

Dass das in MV schon wieder nicht möglich ist, ist etwas seltsam. Zum einen, weil die Jugendverbände in angrenzenden Bundesländern (Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hamburg) schon wieder Angebote anbieten können. Zum anderen auch, weil Jugendsport in MV mit ähnlichen Auflagen erlaubt ist. Das können wir nicht nachvollziehen.

Wir fordern deswegen für MV:

  • Öffnung der Jugendclubs!
  • Jugendsozialarbeit wieder möglich machen!
  • Ferienfreizeiten und Gruppenstunden erlauben!

Für all das sollte es natürlicherweise sinnvolle Auflagen geben. Vorrangig draußen, in begrenzten Gruppen, mit Maske und Abstand oder unter Nachweis von Selbst- und Schnelltests. Wir sind schließlich jung, aber nicht naiv.

Und „Warum“ wir dies brauchen, wollen wir in fünf übersichtlichen Punkten darlegen.

1. Fürs Leben lernen wir

Woraus besteht unser Leben? Schlafen, essen, pauken, shoppen, Haare schön machen – so scheint es, wenn man sich die Lockerungen vom März vor Augen führt. Das ist Quatsch, denn was das Leben wirklich ist, sind: Freund*innen, Zukunftsträume, Anregungen, sich entwickeln und wachsen, eine Ansammlung von Gefühlen, die wir mit anderen Menschen teilen wollen und nicht zuletzt sind es die Ideen, die wir mit Freund*innen zusammen spinnen.

Für viele Kinder und Jugendliche geschieht all das nicht nur in der Schule, sie ist ein Ort, wo wir Zeit absitzen, pauken, uns ab und an mit Nazis streiten, aber auch schöne Momente mit Freund*innen verbringen. Es passiert auch nicht nur Zuhause, ein Ort, der für so manche*n von uns Einsamkeit, Langeweile und Enge bedeutet und für Andere ein Rückzugsort ist und die Möglichkeit zum Chillen und Alleinesein bietet.

Wichtig für uns sind besonders die Orte, die wir uns selbst aussuchen. Für manche ist es der Park, der Marktplatz oder der Stadthafen, wo wir abhängen; für andere ist es der nächstgelegene Jugendclub; für viele sind es Gruppen, in denen wir aktiv sind und mit denen wir unsere Freizeit verbringen, zum Beispiel die Falken oder auch gänzlich unabhängige Gruppen wie Fridays for Future.

Es sind diese Orte, wo wir mit Freund*innen Zeit verbringen, uns Wissen und Fähigkeiten aneignen – und letztendlich auch die ersten Schritte gehen uns für die Gemeinschaft, für die Gesellschaft zu engagieren. Dieses Engagement lernen wir zum Beispiel in Juleica-Schulungen oder wenn wir Ferienfreizeiten begleiten. Wir lernen es in ehrenamtlicher Vorstandsarbeit im Jugendverband und wenn wir Demos organisieren. Und: Wir wollen es lernen. Denn wir werden in Zukunft mit einem großen Haufen Aufgaben dastehen, die die Erwachsenen von heute uns vererben.

2. Jugendarbeit gegen Chancen-Ungleichheit

Seit ein paar Wochen gibt es den ersten Entwurf zum neuen „Armuts- und Reichtumsbericht“. Dieser Bericht wird jedes Jahr von der Bundesregierung selbst erstellt. Der Bericht sagt deutlich, dass Corona Reiche reicher und Arme ärmer gemacht hat und weiter machen wird. Der Bericht sagt auch, dass sich in den letzten Jahren soziale Verhältnisse verfestigen.

Corona trifft arme Regionen und sozial benachteiligte Menschen härter. Sie sterben sogar häufiger als Reiche. Das darf nicht sein. Es sollte ein Aufschrei durch dieses Land gehen, denn es widerspricht jedem demokratischen und ethischen Verständnis.

Auch unter uns Jugendlichen trifft es am härtesten diejenigen, die wenig Kohle haben.

Jugendverbände wälzen zwar nicht diese ungerechten Verhältnisse um, aber sie sind eine wichtige Anlaufstelle für uns. Hier können wir, unabhängig vom Einkommen unserer Eltern, unsere Interessen einbringen und veröffentlichen. Hier gibt es schöne Erlebnisse und Rückhalt für diejenigen von uns, die beides wegen wenig Kohle Zuhause nicht so sehr haben wie andere.

3. Gemeinsam statt einsam

Schon nach der ersten Welle war klar: Corona ist nicht das einzige Gesundheitsrisiko, welches uns derzeit droht. Vereinsamung, Depression, Gewalt in Familie und Beziehungen, Essstörungen, auch diese Risikofaktoren müssen eingedämmt werden.

Eine Möglichkeit sie einzudämmen, ist es uns jungen Menschen Anlaufstellen außerhalb des engen Raums der eigenen vier Wände zu schaffen, wo es diese Risiken eben gibt. Genau dafür gibt es Jugendclubs, Feriencamps usw. Wir brauchen das, denn wir wollen keine neue Generation sein, die von Depressionen und Einsamkeit geplagt ist.

4. Lernen mit globalen Krisen umzugehen

In Deutschland läuft derzeit nicht alles glatt, was Impftermine und Verteilung von Impfstoffen angeht. Dennoch sollten wir im Blick behalten, dass wir uns in einer sehr komfortablen Lage befinden, im globalen Vergleich. Während hier Leute Impfstoffe ablehnen, weil sie ihnen nicht gut genug sind, geht man davon aus, dass in anderen Ländern erst 2022 mit Impfungen begonnen werden kann.

Corona ist eine der ersten großen globalen Krisen, in denen Zugänge zu knappen Ressourcen weltweit für alle sichtbar verhandelt werden. Heute geht es um den Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Impfstoff und dessen Patenten. Morgen geht es um die Auswirkungen des Klimawandels und die Herausforderungen, die uns hier drohen, werden noch weit schwieriger zu bewältigen sein.

Wir wollen darauf Antworten finden. Und wir finden sie eher in Diskussionen und Aktionen in unseren Jugendverbänden und Jugendclubs als im formellen (online) Schulalltag. Das haben wir und viele unserer Freund*innen bereits vor Corona deutlich gemacht, indem wir es zu Tausenden an unzähligen Freitagen auf die Straße getragen haben und das immer noch tun. Wir wollen die Verhältnisse umwälzen: Wir wollen, dass jedes Leben zählt, dass unsere Zukunft zählt, dass unser Planet zählt.

5. Zusammenhalten gegen Verschwörungsmythen

Wir sind schockiert, wie derzeit Tausende abgedrehte Schwurbler*innen auf die Straßen strömen und ihr verrücktes Internet-Wissen für die Wirklichkeit halten. Wir sind schockiert, dass uns solche Fake News oft im privaten Umfeld begegnen. Wir sind zutiefst besorgt, was für ein verdrehtes Verständnis von „demokratisch“ hier propagiert wird. In den Schwurbel-Demos sehen wir, wie tief antisemitische Verschwörungsmythen in unserer Gesellschaft sitzen und zu welchem Mist sie massenweise Menschen treiben.

Mit solchen Verschwörungsmythen müssen wir uns auseinandersetzen. Wir müssen lernen Fakten und Fake News zu unterscheiden. Jugendverbände und Lernorte außerhalb der Schule können auf solche aktuellen Fragestellungen ziemlich gut eingehen und einen kritischen Blick auf die Welt fördern. Wir finden hier auch Ansprechpartner*innen, die uns verlässliche Infos geben können.

Wir sind die Zukunft. Also hört uns zu.

Die Welt verändert sich stetig. Die Zukunft steckt voller fieser Herausforderungen, mit denen wir nachwachsende Menschen klarkommen müssen, an denen wir aber nicht die Schuld tragen. Klimawandel. Globale Verteilungsgerechtigkeit. Antisemitismus, Rassismus, autoritäre Regime.

Demokratie müssen wir ständig neu machen, indem wir uns zu informierten und selbstbewussten Menschen entwickeln. In unseren Lernorten außerhalb der Schule findet Bildung statt. Es ist keine Bildung, wo uns jemand stundenlang Vorträge hält, sondern Bildung, deren Inhalte und deren „Wie“ wir selbst bestimmen können. Wir tauschen uns darüber aus, wie wir private und soziale Probleme bewältigen können, wie wir unsere Interessen vertreten und welche Rolle wir später mal in dieser Gesellschaft spielen werden. Jugendverbände und Jugendarbeit bieten uns gute Anlaufstellen, um uns verlässliches Wissen anzueignen. Wir haben hier die Möglichkeit uns selbst zu überlegen, was wir unter den gegebenen Umständen noch machen können. Das ist wichtig. Wir brauchen diese Orte. Dringend.

Es ist wichtig, uns, die wir in ein paar Jahren in dieser Welt klarkommen müssen, nicht zu vergessen. Also hört uns zu. Gebt uns unsere Räume zurück.

Mit solidarischen Grüßen,

i.A.

der Landesvorstand

für die Falken M-V