Besuch in der Gedenkstätte Wöbbelin

Ende November waren wir mit einigen Genoss:innen für einen Workshop über den Nationalsozialismus in der Gedenkstätte Wöbbelin. Lest hier, was wir dort erfahren und gelernt haben.

Der Tag begann am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers. Wir trafen dort die Bildungsreferentin der Gedenkstätte, die uns den Tag über mit jeder Menge Infos versorgt und den Workshop gestaltet hat.

Das ehemalige Konzentrationslager

Das KZ Wöbbelin bestand nur 10 Wochen, es war ein Außenlager von Neuengamme. Von Mitte Februar 1945 bis Anfang Mai waren dort mehr als 5000 Menschen untergebracht, mehr als 1000 starben dort. Ein großer Teil der Gefangenen waren politische Aktivist:innen aus verschiedenen Ländern. Das KZ war zur Zeit der Nutzung nicht fertig gebaut, die Insass:innen mussten auf einer Baustelle hausen. Die meisten wurden systematisch durch Hunger, Kälte und Erschöpfung ermordet. Besonders gegen Ende war das Lager ein Auffanglager für Todesmärsche aus verschiedenen anderen Lagern.

Am Ort des ehemaligen KZ sieht man heute einen künstlerisch gestalteten Gedenkort. In der Mitte der Fläche steht eine steinerne Säule, die in der Mitte aufgerissen ist. Über den Boden ziehen sich mehrere Risse, die für die Wunden stehen, die der Mord an mehr als 1000 Menschen in Wöbbelin im Leben der Angehörigen hinterlassen hat. Entlang der „Narben“ sind die Namen der Opfer eingelassen, deren Namen man kennt. Für viele Angehörige ist hier der Ort des Gedenkens, weil nicht bei allen klar ist, wo sie begraben liegen.

Hinter dem Gedenkort liegt ein kleines Wäldchen, das einen Teil des ehemaligen KZ-Gelände bedeckt. Dort sind einige Markierungen für die ehemaligen Baracken eingelassen und das Fundament der Sanitärbaracke freigelegt.

Den zweiten Teil des Tages haben wir im Seminarhaus der Mahn- und Gedenkstätte im Ort Wöbbelin verbracht. Dort gibt es eine Ausstellung, eine Bibliothek und im Außenbereich einen Ehrenfriedhof für die in Wöbbelin beerdigten Opfer, sowie ein Denkmal für die Opfer der Todesmärsche.

Verstehen und Erinnern

Der Tag in Wöbbelin hat uns viele Gedankenanregungen mitgegeben. Häufig lernen wir in der Schule über den Nationalsozialismus anhand der grausamsten Beispiele. Unter dem Begriff >Konzentrationslager< stellen wir uns fast immer Vernichtungslager vor. Die Auseinandersetzung damit soll oft einen „abschreckenden“ Charakter haben.

In Wöbbelin erlebt man kein „Gedenkevent“. Man sieht keine Gaskammer, steht in keiner Baracke, blickt nicht in ein Krematorium. Man wird nicht überrollt von der unvorstellbaren Dimension der Grausamkeit. Man ist stattdessen mit der bitteren Normalität des deutschen Faschismus konfrontiert: Das Lager lag in direkter Sichtweite zur Landstraße. Alle Vorbeifahrenden waren Zeug:innen von Zwangsarbeit und Massenmord. Zwangsarbeiter:innen wurden auf den umliegenden Landgütern eingesetzt, zu Beginn wurden Tote auf dem Kirchfriedhof verscharrt, später Massengräber neben den Feldern ausgehoben. Die Züge mit den Menschentransporten durchquerten Ludwigslust. Jede:r konnte es sehen. In Wöbbelin wurde uns deutlich, wie sehr der Faschismus und seine Verbrechen in der deutschen Bevölkerung verankert waren.

Umso mehr hat uns der breite gesellschaftliche Ansatz der Gedenkstätte beeindruckt: In zahlreichen Projekten werden Anwohner:innen, Schulklassen, aber auch internationale Gäste in das Gedenken involviert. Während wir auf dem Gelände waren, sägte die VHS Ludwigslust mit dem Kettensägenkurs das Unterholz frei. Schulklassen pflegen in „Patenschaften“ die Gräber von Opfern auf den dezentralen Ehrenfriedhöfen. In internationalen Workcamps wurden Biografien von Opfern erarbeitet. Vor dem Seminarhaus steht ein Kunstwerk, in dem in 5 Jahren gemeinsamer Arbeit die Gesichter von 45 ehemaligen Häftlingen verewigt wurden.

Dieser Ansatz schafft für viele Menschen eine praktische Verbindung zum Gedenken. Das Erinnern sind nicht einige flüchtige Gedanken während eines Schulprojekttags. Es findet einen Anknüpfungspunkt im Heute, im eigenen Leben. Die Einstellung, die die Gedenkstätte dabei vermittelt, basiert auf dem Wunsch der Angehörigen: Der Ort soll mit Leben gefüllt werden, nicht stumm und trostlos sein. In einem Videoausschnitt betonte ein Überlebender: Wir heute tragen nicht die Schuld für den Faschismus, aber wir tragen die Verantwortung dafür, dass er nicht wieder möglich wird.

Wir haben uns besonders mit dem Thema Widerstand gegen den Faschismus befasst und mit der Erinnerungskultur nach der Befreiung. Denn für uns als antifaschistischer Jugendverband steht immer auch die Frage, wie wir an die Kämpfe derjenigen anknüpfen können, die sich dem Faschismus widersetzt haben. Ein zentrales Leitmotiv der Bildungsarbeit der Falken ist Adornos Ausspruch: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“.

Wöbbelin im Kontext

Auf dem Gelände des Seminarhauses befindet sich auch ein Museum und die Grabstätte von Theodor Körner. Der deutsche Dichter des frühen 19. Jahrhunderts kam aus bürgerlich-liberalen Kreisen, entwickelte sich aber im deutsch-französischen Krieg um 1813 zum glühenden Nationalisten. Er starb im Krieg in der Nähe von Gadebusch und ist in Wöbbelin beerdigt. Die Nazis planten dort eine riesige „nationale Gedenkstätte“ zu errichten. Bis heute finden an seinem Grab manchmal Gedenkveranstaltungen von NPD bis AfD statt. Auch in der DDR gab es einen Erinnerungskult rund um Körner. Die Kombination der beiden Erinnerungsorte in einem Haus/Gelände ist umstritten

Spannend war für uns, dass die kontroverse Debatte darum mindestens deutlich machte, dass der NS nicht aus einem Vakuum entstanden ist. Deutschtümelei und Nationalismus haben eine jahrzehntelange Vorgeschichte, die sich auch auf dem Weg in den Faschismus zeigt. Die NSDAP fasste in Mecklenburg schon in den 20er Jahren Fuß und hatte bereits 1932, vor der Machtübergabe in Berlin, eine absolute Mehrheit hier. Sie knüpften während des NS an etablierte faschistische Strukturen in MV an.

Sich mit Geschichte zu befassen, ist ein großes Unterfangen. Man nähert sich ihr oft anhand einzelner Daten. Der Zugang an der Gedenkstätte in Wöbbelin weitet den Blick, denn der Ort verbindet verschiedene Epochen und führt verschiedenste Biografien zusammen.

Zum Weiterlesen und Schauen


Danke

Die Fahrt wurde gemeinsam mit dem BDP MV, den Jusos Rostock und den Jusos MV organisiert. Finanziert wurde die Fahrt aus Mitteln des Fonds „Aufholen nach Corona“ des BMFSFJ. Wir bedanken uns bei der Mahn- und Gedenkstätte für den anregenden Workshop.