Auch in diesem Jahr gedenken wir wieder gemeinsam mit den Jusos Rostock und den Jusos MV der beiden Attentate am 22. Juli 2011 und 2016. In Rostock wird es eine Gedenkkundgebung und eine Infoveranstaltung geben.
Unser Redebeitrag bei der Kundgebung
Rechte Gewalt. Rechter Terror. Von Utoya und München bis NSU
München erinnern. Wer schon einmal durch München gelaufen ist, weiß, dass dieser Anspruch nicht nur das Attentat am OEZ meint. München wurde in den vergangenen Jahrzehnten Schauplatz mehrerer rechter Anschläge. Unter Anderem starben zwei Menschen durch den NSU: 2001 Habil Kiliç und 2005 Theodoros Boulgarides. Auch Rostock wurde Schauplatz eines NSU-Mordes. 2004 riss der rechte Terror Mehmet Turgut aus dem Leben.
Wir möchten hier und heute an Habil K?l?ç, Theodoros Boulgarides und Mehmet Turgut erinnern, und auch an Enver ?im?ek, Abdurrahim Özüdo?ru, Süleyman Ta?köprü, ?smail Ya?ar, Mehmet Kuba??k und Halit Yozgat.
Wir wollen hier nicht Unvergleichbares vergleichen. Doch wir wollen einige Gemeinsamkeiten zwischen den Fehlern bei der Aufklärung des Mordes an Mehmet Turgut und während der Ermittlungen zum Anschlag am OEZ benennen. Denn wir denken, aus diesen Fehlern müssen politische Konsequenzen gezogen werden.
- Beiden Terrorakten gehen fundamentale Fehleinschätzungen, blinde Flecken bzw. strukturelle Probleme bei den Verfassungsschutz-Stellen voraus.
Spätestens 2002 war klar, dass ein Unterstützungsnetzwerk aus der rechten Szene in MV Gelder in beträchtlicher Summe sammelte, um den NSU zu finanzieren. 2004 ermittelte dasselbe Innenministerium, das später etwa 10 Jahre lang die eigene Unterwanderung durch das rechte Prepper-Netzwerk Nordkreuz „übersah“.
Die rechte Gesinnung des Täters aus München war bekannt. Er war online in der globalen rechten Szene vernetzt und kaufte die Tatwaffe bei einem überzeugten Nazi. - Rassistische Deutungen und Vorurteile verzerrten die Ermittlungen der Polizei, die die Perspektiven und Einschätzungen der Angehörigen der Opfer ignorierte.
Im Falle des Täters aus München hieß es zu Beginn, seine Eltern hätten Migrationshintergrund, deswegen könne die Tat nicht rechtsextrem sein.
Die Einstufung des Mordes an Mehmet Turgut, der der organisierten Kriminalität zugeordnet wurde, führte in die völlig falsche Richtung und belastete jahrelang die Familie stark, bis in die Türkei. - Beide Terrorakte, in München und in Rostock, wurden viel zu spät als rassistische Morde benannt und in dieser Dimension betrachtet. In MV dauerte es dauerte es bis 2018 bis es einen echten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU und damit zum Mord an Mehmet Turgut gab. Dieser stellte mit dürftigen Ergebnissen seine Arbeit ein, denn das Innenministerium, samt seiner untergeordneten Behörden blockierte durch ihr (Nicht-)Handeln die Aufklärung des NSU-Komplexes.
In München brauchte das LKA drei Jahre bis es die Tat als rassistisch anerkannte. Sehr anschaulich lässt sich das daran nachvollziehen, dass bis 2020 am Mahnmal für den Anschlag am OEZ von einem „Amoklauf“ die Rede war. Erst seit 2020 wurde die Inschrift geändert in: „In Erinnerung an alle Opfer des rassistischen Attentats vom 22.7.2016“.
Hinter rechter Gewalt stehen allzu oft rechte Netzwerke. Die Täter sind vernetzt. Sie kennen sich oder beziehen sich gegenseitig auf ihre Gewalt, mit der sie gezielt Angst und Verunsicherung schüren wollen. 2012 zum Beispiel erhielt die NSU-Terroristin im Knast einen anerkennenden Brief für ihre Taten vom Attentäter von Utoya und Oslo.
Rechte Weltbilder und die Bereitschaft Menschen zu töten, fallen nicht unerwarteterweise eines Tages vom Himmel. Sie gedeihen über einen längeren Zeitraum. Die Terroristen des NSU und ihr Netzwerk wurden politisch in den 1990er Jahren sozialisiert. Einer Zeit, in der rechte Gewalt und Anschläge zum traurigen Alltag im wiedervereinigten Deutschland gehörten. Eine Zeit, in der die meisten dieser Gewalttaten ungestraft blieben. Ein besonders bekanntes Beispiel hierfür ist das Pogrom in Lichtenhagen 1992, an das wir in diesem Jahr zum 30. Mal gedenken. Die Kontakte des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern lassen sich bis ins Jahr 1992 zurückverfolgen. Zwanzig Jahre später, 2011, machte das Kerntrio zum letzten Mal Urlaub in MV. Das Unterstützungnetzwerk des NSU besteht bis heute. Zumindest müssen wir davon ausgehen, da es weder vollständig aufgeckt, noch zerschlagen wurde.
Das Erinnern an rechte Gewalt und rechten Terror hat für uns Falken als linke Kinder- und Jugendorganisation einen besonderen Stellenwert. Wir sind ein antifaschistischer Verband, dessen Anliegen es ist, eine kommende Generation mit groß zu ziehen, die sich für ein freies und würdevolles Leben für alle Menschen auf dieser Welt einsetzt. Hierzu gehört es zum Beispiel, dass wir an den Jahrestagen an die Opfer der Gewalt erinnern und uns den Angehörigen und Überlebenden zuwenden, ihnen unsere Solidarität und Anteilnahme schicken.
Darüber hinaus ist das Erinnern an rechte Gewalt und rechten Terror immer auch Anlass darüber nachzudenken, was wir an dieser Gesellschaft weiter verändern müssen, um sie zu einer guten, einer besseren Gesellschaft zu machen. Eine Gesellschaft ohne rechte Gewalt.
In der Rückschau auf die institutionellen Fehler rund um die Aufklärung der Anschläge müssen wir politische Konsequenzen ziehen:
- Ganz konkret für Rostock heißt ein würdiges Gedenken im Sinne der Familie von Mehmet Turgut: Die Stadt muss endlich den Neudierkower Weg in Mehmet-Turgut-Weg umbennen!
- Auf Landesebene begrüßen wir, dass ein zweiter Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde. Dieser muss entsprechend seiner sich selbst gesetzten Vorgabe lückenlos die Netzwerkstruktur des NSU und seine Verbindungen mit anderen rechtsradikalen Gruppen wie Oldschool Society, Combat 18, BaltikKorps sowie Nordkreuz aufdecken! Außerdem muss er aufklären inwiefern staatliche Organe wie der Verfassungsschutz den NSU stabilisiert haben!
- Generell muss es oberstes Ziel demokratischer Strukturen sein, die organisierte rechte Szene zu zerschlagen und nicht durch V-Leute mitzufinanzieren. Dafür braucht es entweder einen kompletten Umbau der Verfassungsschutzstrukturen oder deren komplette Auflösung!
Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit. Freundschaft!
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- „Von München über den NSU bis Hanau“ in „Rassismus. Macht. Vergessen.“ (2021)
- NSU-Watch-Podcast #25: „Der Mord an Mehmet Turgut“
- Dokumentation der Tagung „Ein Tag für Mehmet Turgut“ 2019 in Rostock
- Abschlussbericht zum 1. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss von der LINKEN-Fraktion MV